Meine ersten Parkinson-Medikamte waren eine Katastrophe. Ich bekam Dopaminagonisten — so wie es am Anfang der Krankheit üblich ist. Agonisten ahmen im Gehirn die Wirkung von Dopamin nach. Anders als bei Levodopa, muss der Wirkstoff im Körper nicht erst in eine effiziente Form umgewandelt werden. Die Nebenwirkung war, dass mir den ganzen Tag speiübel war. Ich konnte nichts essen und kaum schlafen. Mein Neurologe meinte zunächst, ich müsste doch noch ein paar andere Agonisten ausprobieren. Als er mich dann völlig fertig mit 3 kg weniger Körpergewicht (und ich bin nicht gerade eine von der fülligen Sorte) heulend in der Praxis sitzen hatte, war auch ihm klar, dass es so nicht funktionierte. Er schlug vor, ich sollte mich stationär in einer Parkinson-Klinik einstellen lassen. Da wurde mir noch schlechter. Klinik? Weg von zu Hause? Und das für 2-3 Wochen? Er hätte mir auch mit der Todesstrafe drohen können. Also verschrieb er mir Stalevo. (Kombination aus Levodopa, Carbidopa und Entacarpone. Levodopa hebt den Dopaminspiegel an, Carbidopa sorgt dafür, dass möglichst viel Levodopa im Gehirn ankommt und Entacarpone hemmt den schnellen Abbau von Dopamin.) Aus heutiger Sicht hätte ich besser in die Klinik gehen sollen, aber zu dem Zeitpunkt und in der Situation konnte ich mir nicht vorstellen, wie das gehen sollte. Mit den Stalevos kam ich sehr gut zurecht. Ich nahm meine drei Tabletten am Tag und es ging mir richtig gut. Fast 3 Jahre hatte ich so gut wie gar keine Einschränkungen. Der sogenannte „Honeymoon“ bei Parkinson, den die meisten Betroffenen erleben. In der Zeit lernte ich eine Parkinson-Selbsthilfegruppe kennen. Es tat gut, über die Situation zu reden und vor allem zu merken, dass ich nicht die einzige war, die im relativ jungen Alter mit dieser Diagnose konfrontiert wurde.
Als meine Bewegungen auffälliger wurden und ich oft von völlig überbeweglich zu ganz unbeweglich wechselte, wurden noch ein paar Medikamentenänderungen ausprobiert. Langsam wurde mir klar, dass es nicht mehr werden würde wie früher. Ich hatte versucht, die Krankheit zu ignorieren. Außer meiner Schwester, meiner besten Freundin und natürlich meinem Mann wusste niemand davon. Das erste „Coming Out“ war telefonisch mit meinen beiden Brüdern. Die Reaktionen waren von geschockt, hilflos bis zu motiviert, etwas ganz Schlaues zu sagen. Nur, dass es nichts Hilfreiches und Schlaues gab. Ein paar Wochen später hatte ich meine Arbeitskollegin zum Frühstück eingeladen. Als sie ankam, war ich richtig im Off. Da war ich natürlich gezwungen, meinen Zustand zu erklären. Sie reagierte sehr verständnisvoll, stellte ein paar Fragen, aber wir waren schnell auch bei anderen Themen und sie machte kein Drama daraus. Solche Situationen machten mir Mut. Ich begann, immer offener damit umzugehen und in den meisten Fällen bereute ich es nicht, mich geoutet zu haben. Einige wenige konnten mit so einer Sache, die einem ziemlich den Boden unter den Füßen wegreißt gar nicht umgehen. Entweder sie gingen mir aus dem Weg und konnten mir nicht mehr in die Augen sehen, oder sie überschütteten mich mit Mitleid und Hilfsangeboten. Beides fand ich blöd. Manche Kontakte gingen dann bewußt oder unbewußt einfach zu Ende.
Vor allem meine Überbewegungen machten mir zu schaffen. Dann sind Kopf, Arme und Beine ständig in Bewegung und ich zappeln nur herum. Es sieht komisch aus und tut auch irgendwann im Nacken und den Gelenken weh. Wenn ich mit Überbewegungen in das Hühnergehege gehe, habe ich den Eindruck, die Hühner merken auch eine Veränderung. Ich unterhalte mich ganz gern mit den Hühnern und so erklärte ich ihnen auch, was mit mir los war. Sie standen ganz ruhig um mich herum und hörten zu. Als ich fertig war, versprach ich, dass ich mich aber weiter um sie kümmern würde und als Beweis brachte ich einen großen Eimer mit Kompost mit. Sie freuten sich riesig und begannen sofort zu scharren und sich die dicksten Würmer herauszusuchen. Es war eine Freude, ihnen zuzuschauen. Als ich wenige Tage später wieder mal zappelig ins Gehege kam, sahen sie mich an und ich bildete mir ein, sie zappelten auch. Machten sie sich lustig über mich? Das wäre gemein. „Hey“, sagte ich. „Lacht ihr mich aus?“ Ein allgemeines, entrüstetes Gegacker folgte. So als wollten sie sagen: „Du bist nicht allein. Wir verstehen dich.“ Und da soll mal jemand sagen „Dummes Huhn“.
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