Ankunft in der Klinik im Winter 2020. Mit Sach und Pack komme ich in meinem Zweibettzimmer an, hänge meine Handtasche ans Bett und sehe mich im Zimmer um. Meine Zimmergenossin ist nicht da und ich versuche mir anhand der Kleidungsstücke und anderen Dingen, die auf Ihrer Kommode und dem Tisch liegen eine Vorstellung zu machen, wie sie wohl so ist. Ein bunter Satin-Bademantel hängt über der Bettkante, eine Pralinenschachtel steht offen auf dem Nachttisch. Am Garderobenhaken sehe ich eine schwarze Jacke aus Leder- und Fellimitat. und darunter entdecke ich hochhackige schwarze Lackschuhe. Außerdem eine altrosa Weste aus plüschigem Stoff. Neben einer Zeitschrift liegt eine Lesebrille. Diese Mischung gibt mir Rätsel auf. Bei dem Bademantel und der Brille würde ich auf eine ältere Person tippen - jedenfalls älter als ich. Der Rest wirkte für mich eher jünger. Während ich meine Sachen auspackte und einräumte, betrat sie das Zimmer und stellte sich als B. vor. Ich war überrascht. Sie war eindeutig einige Jahre älter als ich. Allerdings würde ihr Kleidungsstil und ihre blonden Haare, die ihr bis über die Schultern fielen auch zu einer Dreißigjährigen passen. Sie war mir sympathisch - schon allein deshalb, weil sie nicht so „normal“ wirkte und ganz offensichtlich ihren ganz eigenen Stil hatte. Wir kamen schnell ins Gespräch und ich stellte mit Erstaunen fest, dass sie noch mehr reden konnte als ich. In den knapp zwei Wochen, die wir gemeinsam in der Klinik verbrachten, lernte ich B. als tolle Zimmernachbarin kennen, mit der man reden und lachen konnte. Wir hatten viel Spaß und immer interessante Gesprächsthemen. Ich kenne niemanden, der so ist wie sie. Sie kann bereits morgens um 5 Uhr wie ein Wasserfall reden, hat einen herrlichen Sinn für Humor und einige etwas ungewöhnliche Vorlieben. Ich bevorzuge Kleidung und vor allem Schuhe, die bequem sind. Sie ist der Ansicht, es müsste nur gut aussehen und dürfte auch ruhig weh tun. Bequemlichkeit sei völlig überflüssig. Der seltsame Zufall, dass wir uns unabhängig voneinander gegenseitig als Goldnuss bezeichneten, ist eines der lustigen Dinge, die uns verbinden. Sie schaffte es, mich zu überreden, im totalen Off eine Bustour zum Bummeln in die nächst größere Stadt zu machen. Es war die letze Gelegenheit, vor Weihnachten noch zu shoppen und wir hatten einen sehr schönen Tag. Das hätte ich beim Losfahren nicht für möglich gehalten. Sie ist für mich eine der stärksten Frauen, die ich kenne. Trotz Parkinson im Gepäck lebensfroh und voller Energie und Ideen. Obwohl wir teilweise sehr verschieden sind, verstehen wir uns nach wie vor sehr gut. Sie steht auf Glitzer, Lack und Leder. Ich bevorzuge Jeans und T-Shirts. Ihre Wohnungseinrichtung ist schwarz, weiß und grau mit bunten Lichteffekten, Ich bevorzuge Holz und warme, natürliche Farben. Doch das stört überhaupt nicht. Wir haben regelmäßigen Kontakt und ich habe bereits einmal ein paar Tage bei ihr verbracht, die ich sehr genossen habe. B., danke für deine Freundschaft.
OK, damit das ganze jetzt nicht unglaubwürdig klingt: es gibt auch Dinge, die B. gar nicht kann. Zum Beispiel Koffer packen.
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